Ein Stolperstein für Emil Tiessat, Amandastraße 63

Wer war Emil Tiessat? Er wurde am 21. Juli 1890 im damaliges Königsberg geboren und lernte Schlachter. Seine Familie zog nach Hamburg. Am 22. September 1922 heiratete Walter dort Johanna Bade. Am 4. März 1928 wurde ihr Sohn Walter geboren. Die Eheleute trennten sich drei Jahre später, Walter lebte danach bei Johanna.

1943 betrieb Emil einen Tierhandel in einem Ladengeschäft in der Amandastraße 63. Aus alten Unterlagen geht hervor, dass er vom Kauf und Verlauf von Haustieren gelebt hatte wie auch von deren Pflege. Mit Politik hatte er eher weniger zu tun. In der Weimarer Republik soll er konservative Parteien gewählt haben, behaupteten später die Richter in einem Strafverfahren gegen ihn. Seine Nachbarn, das Ehepaar Möller, betrat am 13. Dezember 1943 seinen Laden, um ihren Hund scheren zu lassen. Dabei soll er sich im Gespräch kritisch über Nazis geäußert haben: Der Krieg sei falsch, das mit dem “Juden” nicht richtig, Adolf Hitler müsse abgesetzt werden und eine Volkspartei gegründet werden.

Wegen dieser Äußerungen wurde er durch die Möllers denunziert und am 5. Januar 1944 verhaftet. Emil bestritt die Vorwürfe. Dennoch wurden seine angeblichen Äußerungen als “Wehrkraftzer-setzung” angesehen. Wegen der “Schwere” des Verbrechens wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Hamburg am 8. Mai 1944 an den Volksgerichtshof in Berlin abgegeben. Am 19. Mai 1944 wurde Emil Tiessat ins Gefängnis nach Berlin/Moabit überstellt. Am 22. Mai 1944 fand das Schnellverfahren vor dem so genannten Volksgerichtshof statt und er wurde zum Tode verurteilt. Am 10. Juli 1944 wurde er hingerichtet.

Walter Tiessat, der Sohn, war sein gesetzlicher Erbe. Da er aber noch nicht volljährig war, bekam er einen Vormund. Sein Vater hatte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung rund 2.4000 Reichsmark im Geschäft, die beschlagnahmt worden waren. Nach Abzug aller “Kosten” blieben noch 750 Reichsmark übrig, die Walter im März 1945 zugestellt bekam. Sein Vormund machte außerdem eine Waisenrente geltend – für die Zeit der Ermordung seines Vaters bis zu seiner Volljährigkeit. Erst 1978 (!), Walter ist 48 Jahre alt, bekommt er einmalig 375 DM ausgezahlt. Emil galt zu diesem Zeitpunkt, nach über 30 Jahren Kriegsende, immer noch als rechtskräftig verurteilt. Erst 1998 hebt „das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile“ einen Teil der Unrechtsurteile bundesweit auf, auch gegen Emil. Erst weitere vier Jahre später wurden dann die Unrechtsurteile gegen Homosexuelle, Deserteure, Wehrdienstverweigerer, sog. Wehrkraftzersetzer und andere Opfer der NS-Militärjustiz aufgehoben. Die Nazi-Richter des Volksgerichtshofs hatten insgesamt 5400 Todesurteile gefasst.

Das Denunzianten-Ehepaar Möller aus der Nachbarschaft wurde juristisch nicht zur Rechenschaft gezogen, obwohl ihre Behauptungen zum Tod von Emil Tiessat führte. Während in der DDR nach 1945 alle Richter juristisch belangt und ihre Urteile aufgehoben wurden, blieben die meisten NS-Richter in der Bundesrepublik unbehelligt. Heute ist bekannt, dass die deutsche Justiz nach 1945 noch tief von Nazis unterwandert blieb. Die Nachkriegsgeschichte lehrt, dass man auch heute aufmerksam durch die Welt gehen muss und Geschichte nicht einfach erledigt ist. Auch das mahnen die Stolpersteine an und fordern sie ein.

In unserem Wohngebiet gibt es viele Spuren der NS-Geschichte: Etwa Stolpersteine, die in jeder Straße des Viertels liegen. Aber auch öffentliche Orte wie die Ganztagsgrundschule Sternschanze, von deren Hof aus jüdischer Menschen 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Unter www.sternschanze1942.de finden Sie weitere Informationen.

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