Fruchtallee/Vereinsstraße: Irma und Paul Freundlich

Vor der Fruchtallee 27/Ecke Vereinsstraße erinnern zwei Stolpersteine ein Irma und Paul Freundlich. Irma Beith und Paul Freundlich waren seit 1921 verheiratet. Irma Beith war am 20.Juni 1896 in Berlin geboren, Paul Freundlich am 6.August 1879 in Gnesen, Beide wurden am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Bei ihnen in der Fruchtallee 27 lebten seine Töchter aus erste Ehe, Ingeborg (geb. 1911), Hildegard (geb. 1913) und Gerda (geb. 1914). 1922 bekamen die Eheleute noch die Tochter Erika. 

Seit dem 10. April 1910 gehörte Paul Freundlich die Hansa-Apotheke und Gebäudegrundstücke an der Fruchtallee 27/29, an der Ecke Vereinsstraße. Die Wohnung der Familie lag in den beiden oberen Stockwerken der Fruchtallee 27 und war durch einen Eingang neben der Apotheke zu erreichen. Im Erdgeschoss befand sich die Apotheke mit dem Laboratorium (Offizin), der Materialkammer und einigen Nebenräumen.

In den Jahre 1934 bis 1936 musste sich Paul Freundlich viele Angriffen nationalsozialistisch inspirierter Standesgenossen und Behörden abwehren, die das Ziel hatten, die Hansa-Apotheke zu schließen. In Hamburg sollte der „arische“ Apothekernachwuchs bzw. „junge Parteigenossen“ vorrangig versorgt werden. In dieser Situation nahm die Gesundheits- und Fürsorgebehörde die 19 jüdischen Apotheker ins Visier, indem nun von „Verjudung“ des Apothekerstandes die Rede war, was eine Bevorzugung von NSDAP-Mitgliedern erforderlich mache. Die Maßnahmen gegen Paul Freundlich glichen einem Kesseltreiben. 

Im März 1936 erließ das Reichsinnenministerium eine Verordnung, nach der jüdische Apotheker zur Verpachtung ihres Betriebes verpflichtet wurden, was einem Berufsverbot gleichkam. Von einem feindlichen Umfeld zermürbt und gesundheitlich angeschlagen, sah sich Paul Freundlich gezwungen, Lebenswerk und Existenzgrundlage – in besseren Zeiten hatte er bis zu drei Mitarbeiter beschäftigt – an einen Konkurrenten abzutreten. Mit Vertrag vom 6. August 1936 verkaufte er die Apotheke. Zum 1. Oktober 1936 war die an den”arischen” Käufer übergeben, die Wohnung musste bis zum 2. Januar 1937 geräumt sein.

Irma, Paul und Erika Freundlich waren im November 1936 in eine Wohnung in der Oderfelderstraße 40 II umgezogen, wo die Eheleute Freundlich bis zur Deportation lebten. Die jüngste Tochter Erika erinnerte sich später, dass sie oft von Nachbarskindern gemieden oder beschimpft worden, besonders nach dem Aprilboykott 1933, als man das Geschäft mit der Aufschrift „Jude“ beschmiert hatte, und ihr die Kinder nun voller Stolz ihre HJ-Uniformen präsentierten. 

Wie groß die Sorge der Töchter um die Eltern war, nachdem sie von der „Evakuierung“ ihrer Verwandten Heimann und Meta Freundlich nach Minsk, und der fünfköpfigen Familie des Josef Beith nach Lodz erfahren hatten, bezeugt ein Telegramm vom 30. November 1941, in dem es u. a. hieß: „Eltern droht dasselbe.“ Paul Freundlichs jüngerer Bruder Heimann Freundlich wohnte mit seiner Frau Meta in der Eimsbütteler Chaussee 15 und arbeitete als Klempner und Mechaniker in seiner Werkstatt in der Agathenstraße 7. 

Im Oktober und November 1941 versuchten die Töchter Ingeborg und Gerda vom Ausland aus, kubanische Visa für die Eltern zu beschaffen. Offenbar mit Erfolg, denn in einem von Ingeborg Smedresman aufgegebenen Telegramm hieß es am 7. November 1941: „Visum 8876 an Kubalegation gekabelt. Besorgt Schiffskarten.“ Gleich am nächsten Tag stellte Paul Freundlich einen Antrag auf Auswanderung nach Kuba. Doch mittlerweile war es Jüdinnen und Juden verboten, aus Deutschland auszuwandern.

Im Juli 1942 erhielten die Irma und Paul Freundlich den Deportationsbefehl in die Oderfelderstraße zugestellt. Sie fanden sich in der Sammelstelle ein und hatten am 11. Juli 1942 den Zug nach Auschwitz zu besteigen. Dort verlor sich ihre Spur. Paul Freundlich war knapp 63, Irma Freundlich 46 Jahre alt.

Alle vier Kinder konnten vor dem Massenmorden an jüdischen Menschen Nazi-Deutschland verlassen. So konnte Erika Freundlich 1938 mit dem Kindertransporten nach England fliehen. Eine Lehrerin hatte ihr geraten, sich einem Schülertransport anzuschließen. Aber Erika hatte Bedenken. „Ich kann meine Eltern nicht verlassen, ich bin das einzige Kind zu Hause.“ Doch die Eltern unterstützten die Auswanderung ihrer jüngsten Tochter. Am 14. Dezember 1938 fand sich die Familie auf dem Altonaer Bahnhof ein. Erika erinnerte sich: „Es war entsetzlich auf diesem Bahnhof, aber ich habe es nicht gemerkt. Mein Vater trug diesen blauen Mantel und wahrscheinlich auch einen Hut. Und er hat geweint, so viel geweint, und ich konnte es nicht ertragen … Ich habe niemals meine Mutter angeblickt, ich wollte sie nicht ansehen, vielleicht wird sie weinen, dann würde ich auch weinen. Ich war sehr gut, ich habe sie nicht angeguckt, ich habe nicht geweint, mein Vater hat geweint, und dann sind wir auf die Bahn gekommen; er hat mich gesegnet … Das war das letzte Mal, dass ich meine Eltern gesehen habe.“

Erika Estis, geborene 1922,  lebt heute in New York.

(zusammengeschrieben aus der Veröffentlichung von Astrid Louven auf der Seite Stolpersteine-Hamburg.de)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert