Über Walter und Clara Bacher – Redebeitrag von Ruben Herzberg am 29. Juni 2023

Ruben Herzberg hatte auf der Veranstaltung am 29. Juni 2023 Ausführungen von Barbara Brix vorgetragen, die Lehrerin an der Klosterschule am Berliner Tor war und seit Jahren zu Walter und Clara Bacher recherchiert. Aktuell ist ein neues Buch von ihr zu den beiden erschienen, dass demnächst vorgestellt wird. Hier der geschriebene Text:

Am 28. April 1933 fand in der Klosterschule, der ersten staatlichen Akademie Mädchenbildungsstätte, die zum Abitur führte, damals zwischen Alster und Hauptbahnhof gelegen, eine Pausenkonferenz statt. Es ging – laut Protokollbuch – um den Ankauf eines Hitlerbildes, die Übertragung der Führerrede am 1. Mai in die Aula der Schule sowie die „nichtarische Abstammung“ einzelner Kollegiumsmitglieder. Die Schulleiterin, Frau Dr. Philippi, und die Lehrerin Helene Hedde melden sich und verlassen das Lehrerzimmer. Sie werden vor den Sommerferien aus dem Schuldienst entlassen.

Was aber war mit Walter Bacher?

Walter Bacher war 1927 an die Klosterschule gekommen – noch jung mit seinen 34 Jahren, ein linker, hoch engagierter, reformpädagogisch orientierter und bei den meisten Schülerinnen sehr beliebter Lehrer. Er stammte aus einer jüdischen, assimilierten Familie in Halle und war, wie seine Schwester, gleich nach der Geburt protestantisch getauft worden.

Die 3 alten Damen, die ich 1993 noch interviewen konnte, schwärmten auf eine anrührende Weise von ihrem ehemaligen Lehrer, der sie offensichtlich stark geprägt hatte. Sie berichteten von vielen Ausflügen in die Natur, von Reisen und von seinem lebendigen Unterricht. Über Jahrzehnte hinweg hatten sie Fotos und präzise, lebhafte Erinnerungen aufbewahrt.

Sie deuteten aber auch an, dass sich Ende der Zwanziger-, Anfang der Dreißigerjahre die Atmosphäre schleichend veränderte: es gab offenbar kollegialen Neid, politische Differenzen; es kamen Lehrer an die Schule, die schon früh der NSDAP beigetreten waren und z. T. in Uniform unterrichteten.

Auf der Pausenkonferenz vom 28. April 1933 hat sich Walter Bacher nicht gemeldet. Vermutlich wollte er sich dem neuen Regime nicht beugen, denn er hatte den ganzen Ersten Weltkrieg über als Soldat gedient und war verwundet worden.

Doch wurde er kurz darauf beurlaubt. In seinem späteren Bewerbungsschreiben an die Talmud Tora Schule, habe er – so schreibt er – versucht, bei der Schulbehörde die Gründe zu erfahren. Sehr wahrscheinlich geschah es, wie er formuliert, „auf Drängen antisemitischer Kollegen“. Wenig später wurde seine Frau Clara geb. Haurwitz, aus dem Verein der Ehemaligen der Klosterschule ausgeschlossen, dessen Vorstand sie angehörte. Sie war von 1905 bis 1920 zunächst Schülerin der Klosterschule und dann ihres Lehrerinnenseminars gewesen. Danach war sie in den unruhigen, wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen der Nachkriegszeit eine Zeitlang arbeitslos gewesen und hatte erst ab 1923 in dem kleinen privaten „Lyceum von Fräulein Predöhl“ verschiedene naturwissenschaftliche Fächer unterrichtet. Wie Walter Bacher, den sie 1929 heiratete, war sie Mitglied der SPD und protestantisch getauft.

Nach Jahren ohne feste Anstellung wurde Walter Bacher schließlich an der jüdisch  Talmud Tora Schule am Grindel angenommen und unterrichtete auch nach deren Zusammenlegung mit der Israelitischen Töchterschule weiter, und zwar neben seinen eigentlichen Disziplinen Latein und Geschichte noch weitere Fächer. Der Schulleiter, Dr. Alberto Jonas, bescheinigt ihm auch dort eine „hohe pädagogische Begabung“ und eine „liebenswürdige und kameradschaftliche Stellung zu seinen Schülern“.

Als sie ihr Gebäude in der Carolinenstr. aufgeben musste, war Walter Bacher einer der nicht mehr zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer, die die nur noch 76 Schülerinnen und Schüler in ihr letztes Quartier, das jüdische Waisenhaus am Papendamm, begleiteten. Ein Versuch der Schulbehörde, sie noch in der Schule Schanzenstr. unterzubringen, scheiterte an dem entschiedenen Einspruch der Direktorin: das „enge Zusammensein arischer Personen mit jüdischen Kindern (…) muß als unhaltbar abgelehnt werden.“

Am 19. 7. 192 wurden Clara und Walter Bacher zusammen mit seinem Schulleiter und dessen Familie, dem Hausmeister und 13 Schulkindern von hier aus in das Ghetto und KZ Theresienstadt deportiert.

Dort haben sie noch etwas mehr als zwei Jahre eingesperrt unter den elenden Bedingungen des völlig überfüllten, in jeder Hinsicht unterversorgten Festungslagers überlebt, als „Hilfsarbeiter“ eingeteilt und intensiv an dem beeindruckenden kulturellen Leben mitwirkend, das die vielen Künstler, Musiker und Intellektuellen dort auf die Beine stellten: Von Walter Bacher fand ich im Museum von Terezin eine Liste mit 18 Vorträgen zu unterschiedlichen geschichtlichen oder literarischen Themen, die er zwischen Dezember 1942 und August 1944 abends nach der Arbeit gehalten hatte.

Zwischen Ende September und Ende Oktober 1944 gingen 11 Konvois aus Theresienstadt ab. Das Lager leerte sich fast vollständig. Am 29. September 1944 wurde Walter Bacher, am 6. Oktober seine Frau Clara in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie gehörten nicht zu den wenigen Überlebenden dieser Transporte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert