Am 31. März 2025 wurde folgende Einladung in die Briefkästen der Nachbarschaft um den Hellkamp 36 gesteckt:
Ende letzten Jahres habe ich die 92-jährige Agnes Geisler in Osnabrück kennengelernt. Bis März 1943 lebte sie mit ihren Eltern und Geschwistern im Hellkamp 36, bevor sie in das KZ Auschwitz verschleppt wurde. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich 2023 bereits wegen der „Familie Maria und Peter Geisler, Hellkamp 36“ in Ihrem Briefkasten gelandet war?

Einladung nach Hamburg
Nach unserer Begegnung Ende 2024 hatte ich Agnes nach Hamburg einge- laden, damit sie über ihre Erlebnisse in der NS-Zeit sowohl in Hamburg als auch im KZ Auschwitz berichtet. Leider ist sie Ende Januar 2025 verstorben. In unseren Gesprächen sprach sie über ihr Leben in den 1930/40er Jahren in Eimsbüttel – über das Eis von Adda-Eis in der Osterstraße für einen Groschen, die Besuche des Urania- Theaters (30 Pfennig) an der Ecke Osterstraße/Heußweg oder ihre Schulzeit in der „Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 98“ (heute Wohnanlage).

Sie erzählte von ihrem Vater, der für die Spedition Carl Luppy arbeiten musste, deren Sitz sich in der Hellkamp 32 befand, und von ihrer Schwester Anna, die mit ihren beiden Kindern, Gisela und Doris, bis zur Deportation in der Osterstraße 104 lebte.
Besonders eindrücklich war ihre Erinnerung an ihren Vater, der 1943 in Auschwitz sagte, dass sie sich nach Hitlers Niederlage alle bin der Osterstraße 104 wiedersehen sollten, wo seine Schwester Barbara wohnte, die nicht deportiert wurde, da ich Mann zur damaligen Mehrheitsgesellschaft gehörte. Bei meiner aktuellen Recherche stieß ich auf die bemerkenswerte Tatsache, dass Agnes und ihre überlebenden Familienmitglieder nach ihrer Befreiung aus verschiedenen Konzentrationslagern zwischen dem 9. und 30. Juni 1945 wieder in Eimsbüttel zusammenfanden – im Hellkamp 36 und der Osterstraße 104, wo sie erneut eine Unterkunft fanden. Ihre Mutter Maria und ihre Nichte Doris (geb. 1940) wurden in Auschwitz ermordet.
Über Agnes’ Erlebnisse gibt es auch einen Podcast-Beitrag auf „Chaya’s Talk“ unter dem Titel „Tante Mundel: Bericht einer Zeitzeugin über die NS-Zeit und die KZs“.
Deportation von Roma und Sinti aus Hamburg in den Osten
Zwischen 1940 und 1944 wurden über 1.500 Sinti und Roma aus Hamburg in Vernichtungslager im Osten oder in Konzentrationslager wie Ravensbrück und Buchenwald deportiert. Nach der Ideologie des NS-Regimes galten Roma und Sinti als „schädlich“ für das „deutsche Blut“. Die „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935 degradierten sie zu Menschen minderen Rechts, indem sie als „fremdrassig“ und „undeutschen Blutes“ klassifiziert wurden. Ab 1936 wurden ihnen Eheschließungen und außereheliche Beziehungen mit der Mehrheitsgesellschaft unter schwerer Strafe verboten – offiziell zur „Reinhaltung des deutschen Blutes“. Gleichzeitig begann die zentrale Erfassung und rassistische Kategorisierung, die die Grundlage für die späteren Deportationen ab 1940 bildete.
Rundgang zu den Orten ihrer Kindheit in Eimsbüttel
Leider ist Agnes Ende Januar 2025 verstorben. Gerne wäre ich mit ihr bei ihrem Hamburg-Besuch durch die Straßen ihrer Kindheit in Eimsbüttel gegangen. Wir hätten gemeinsam einen Blick in „ihre“ Schule in der Schwenckestraße 98 geworfen. Geplant war zudem eine Veranstaltung in der Nachbarschaft. Da dies aufgrund der heutigen Nutzung des Gebäudes als Wohnanlage nicht möglich war, hatten wir uns auf ein Treffen in der Wolfgang-Borchert-Schule verständigt.
Agnes’ Schwester Marianne (geb. 1931) besuchte in der NS-Zeit die damalige Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 93 und wurde – genau wie Agnes – 1942 gezwungen, die Schule zu verlassen. Auch sie wurde am 11. März 1943 nach Auschwitz deportiert. 1944 wurde sie ins KZ Ravensbrück verschleppt und zur Zwangsarbeit in verschiedenen Außenlagern gezwungen.
Einladung zur Buchlesung am 9. April 2025 um 19 Uhr in der Wolfgang-Borchert-Schule
Noch im vergangenen Jahr sprach Agnes über ihre Erlebnisse in der NS-Zeit. Im Austausch mit dem jungen Lehrer Louis Pawellek begann sie, ihre Erinnerungen zu erzählen. Am 9. April 2025 wird in der Wolfgang- Borchert-Schule in der Schwenckestraße 91/93 das Buch „Ich war die Nummer Z-3682“ vorgestellt – das Vermächtnis der kürzlich verstorbenen Agnes Geisler, einer Sinteza und KZ-Überlebenden aus Osnabrück.

Der junge Autor Louis Pawellek (26 Jahre) wird die bewegende, aber auch mahnende Geschichte ihres Lebens und Überlebens im Konzentrationslager präsentieren. Zwischen ihm und Agnes bestand eine tiefe und vertrauensvolle Freundschaft – ihm allein vertraute sie das gesamte Leid an, das sie in den Konzentrationslagern ertragen musste. Die Veröffentlichung dieses Buches war ihr großer und leider letzter Lebenswunsch.
Vielleicht sehen wir uns am 9. April 2025? Vielen Dank für Ihr Interesse.