Rede Traute Springer-Yakar, VVN Hamburg, am 13. März 2023

Laura Rosenberg wäre fast meine Nachbarin gewesen. Die Wohnung der Familie Rosenberg in der Vereinsstraße 18 ist von der meinen nur durch eine Wiese und einen Häuserblock getrennt.

Ein Schock, als mir das klar wurde. Aber nicht nur deshalb habe ich mich geradezu darum gerissen, heute zum Gedenken an Laura Rosenberg zu Ihnen zu sprechen: das Thema Roma und Cinti in NS-Zeit und BRD ist für mich seit fast 35 Jahren eine Art Kontrapunkt, immer irgendwie präsent.

Sehen Sie, im November 1988 flüchteten die Roma-Familien Adzovic und Bajramovic in die damals gerade legalisierten Häuser der Hafenstraße, weil ihnen die Abschiebung drohte. Zur Mitarbeit in einem Bündnis zur Erkämpfung des Bleiberechts der Familien aufgerufen, gründeten diverse antifaschistische und antirassistische Organisationen, darunter auch wir von der VVN, die „Initiative Bleiberecht für Roma und Cinti“, um  gemeinsam mit der Rom und Cinti-Union und sehr, sehr vielen Roma endlich eine Perspektive für das immer wieder benachteiligte, übervorteilte und diskriminierte Volk der Roma und Cinti in Hamburg und in der BRD zu schaffen. Ein hoch-gestecktes Ziel, das trotz großer Anstrengungen leider nicht erreicht wurde.  Die Beschäftigung mit dem Thema „Roma und Cinti in Hamburg“  aber brachte uns nachhaltige Erkenntnisse und war dazu geeignet, einem die letzten Illusionen  zu rauben.

Karl Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus sind in ihrem Grundsatzwerk „Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg“ auf die  Behandlung von Hamburger Roma und Cinti in der NS-Zeit eingegangen. Sie beschreiben ein reichsweites Experiment, konzipiert, um an dem Volk der Roma und Cinti alle Maßnahmen, die später in der Verfolgung jüdischer Bürger angewandt wurden und noch später, nach dem erwarteten Endsieg, in der Disziplinierung deutscher sog. Asozialer und Gemeinschaftsfremder angewandt werden sollten, ausgiebigst zu testen.

In Hamburg waren die Voraussetzungen für solche Experimente aufgrund besonderer Verwaltungsstrukturen besonders günstig. Überhaupt waren die Praktiken der Hamburger Behörden in der sog. Asozialenbekämpfung reichsweit und in der einschlägigen Fachliteratur als mustergültig bekannt, insbesondere, da sie unter dem Gesichtspunkt absoluter Kosten-minimierung konzipiert waren. Bereits 1935, Jahre bevor man solche Maßnahmen sonst irgendwo im Reich einführte, wurden Roma und Cinti-familien in Hamburg zwangskaserniert, ihre Fürsorgeunterstützung auf ein Nichts zusammengestrichen, die Familienväter in das KZ-ähnliche Lager Farmsen verschleppt, wo sie für den Unterhalt ihrer Familien arbeiten mussten. Jugendliche und Erwachsene wurden ausnahmslos zwangssterilisiert, und ein bereits in Bau befindliches KZ für Roma und Cinti nur deshalb nicht fertiggestellt, weil kurz nach Kriegsausbruch reichsweit die Deportation der Roma und Cinti in die KZ des Ostens angeordnet wurde. Die Komplizenschaft der Hamburger Behörden – Gesundheits-, Sozial-, Innenbehörde und Gestapoleitstelle war so perfekt aufeinander abgestimmt, dass Hamburg den reichsweiten Wettlauf um die schnellstmögliche Roma und Cinti-Deportation mit Abstand gewinnen konnte. So konnte am 22.09.45 die infame Rechnung aufgemacht werden, dass von „ursprünglich 1628 noch 496 zigeunerische Personen im Gebiet Groß Hamburg aufenthaltlich“ wären. Fazit: Über 1000 Hamburger Roma und Cinti sind in deutschen Vernichtungslagern ermordet worden.

Die Überlebenden haben für erlittenes Unrecht  kaum jemals eine angemessene Entschädigung erhalten. Denn nach der Befreiung wurden alle Maßnahmen außerhalb physischer Vernichtung von den höchsten Gerichtshöfen als krininalpräventiv und rechtens gewertet. 

 

Laura Rosenberg hat mit Sicherheit unter den grausamen Schikanen gelitten, die der Mustergau Hamburg ihrem Volk zufügte. Allein mir das vorstellen zu müssen, erfüllt mich mit Mitleid für sie, mit abgrundtiefer Abscheu gegen das NS-Regime und seine Helfershelfer:innen.

 

Wie oft habe ich mich  gefragt, wie es denn gewesen wäre, wenn all diese Opfer der faschistischen Diktatur, die ermordeten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, Jüdinnen und Juden, Roma und Cinti, überlebt hätten, so dass nicht nur der  steinerne Druck der ewig Gestrigen meine Kindheit und Jugend in den 50er Jahren bestimmt hätten, sondern Mut und Geist, Freundschaft und Musik, Kreativität und Solidarität dieser Menschen, die ich allerhöchstens von Bildern und aus Büchern kenne. Sie fehlen mir, ich weiß, dass sie mir fehlen. Und ich finde, eigentlich müsste es jeder und jedem der nachfolgenden Generationen genauso gehen, wenn sie  auch nur ansatzweise darüber nachdenken und -fühlen.

 

Ironischerweise habe ich bei der Recherche für diese Rede festgestellt, dass die 1989 von der Initiative Bleiberecht für Roma und Cinti heraus-gegebene Broschüre „Die Lebenden müssen geschützt werden“ u.a. 2017 als Quelle herhalten musste, um die Große Anfrage der Linksfraktion über die Situation der Roma und Cinti in Hamburg abzuschmettern.

 

Wie wir alle wissen, können die Behörden in und außerhalb Hamburgs das Sortieren von Menschen immer noch nicht lassen. Passen wir also gut auf unsere Nachbarinnen und Nachbarn auf.

(Es gilt das gesprochene Wort)

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