Redebeitrag von Stefanie Szczupak, Jüdische Gemeinde Hamburg

Heute ist Jom HaShoah, der Tag des Gedenkens an die Opfer der Shoah.
Oft wird die Frage gestellt, wie konnte das damals passieren? Wie konnte es eine Gesellschaft zulassen, dass ihre jüdischen Nachbarn und Mitmenschen deportiert und ermordet wurden? Die heutige Veranstaltung zeigt deutlich auf, wie so etwas geschehen konnte.

Beim Lesen des Briefes von Emma Lange war ich fassungslos. Obwohl ich mich aufgrund meiner Biografie zwangsläufig schon immer mit der Thematik der Shoah auseinander setzen musste und viel gelesen habe, war ich fassungslos. Dieser Brief ist von ausgesprochen kühler Härte, menschenverachtend und schwer aushaltbar. Er trifft und emotionalisiert mich, weil Emma Lange sinnbildlich für die perfiden Auswüchse und grausamen Ungerechtigkeiten des Naziregimes steht. Aber diese Auswüchse konnten nur auf fruchtbarem Boden so stark gedeihen, weil die Menschen dafür empfänglich waren. Der Brief zeigt die unerträgliche antisemitische Stimmung und Haltung in der damaligen deutschen Gesellschaft auf.


Es gab menschliche Ausnahmen, aber zu wenige und diese waren meist zu leise. Juden und Jüdinnen wurden ausgegrenzt, gedemütigt und ihrer Würde beraubt, letztlich wurde ihnen alles genommen. Sechs Millionen Juden wurden ermordet. Wozu können Menschen fähig sein?!


Ich bin Tochter eines Überlebenden der Shoa. Aber ich bin nicht nur ein Kind der 2. Generation, sondern auch Mutter von 2 Töchtern – und es ist mir wichtig, den Blick nach vorne zu richten. Daher hat mich der Brief von Emma Lange aber auch bestärkt – darin bestärkt, dass wir gemeinsam an einer offenen und toleranten Gesellschaft arbeiten, diese weiter stärken und jegliche Ausgrenzung verhindern müssen. Und: Gemeinsam müssen wir auch Sorge dafür tragen, dass jüdisches Leben wieder ein selbstverständlicher und sichtbarer Teil der Hamburger Stadtgesellschaft wird. Wenn ich gefragt werde, wieso ich im Vorstand der Jüdischen Gemeinde arbeite, dann antworte ich immer, dass ich unter anderem meinen Schwerpunkt im Aufbau und der Weiterentwicklung des jüdischen Bildungshauses sehe. Von der Kita bis zum Abitur. Hierfür investiere ich meine Energie und meine Zeit. Denn Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Der Brief von Emma Lange hat mich von daher auch auf eine besondere Weise berührt. Der Brief richtet sich gegen jüdische Schüler und Schülerinnen, denen ihr Ort für Bildung genommen wurde – völlig ausgegrenzt. Es war ein langer Weg, aber es erfüllt mich umso mehr mit Stolz, dass sich heute in der ehemaligen Talmud Tora Schule wieder eine Jüdische Bildungseinrichtung befindet. Ein Kindergarten, eine jüdische Grundschule und

eine Stadtteilschule. Alles unter einem Dach, im Joseph-Carlebach- Bildungshaus. Ein geschützter Raum, in dem unsere jüdischen Kinder selbstverständlich – gemeinsam mit ihren nicht jüdischen Freunden lernen- ihre jüdische Identität leben und erfahren können.


Eine Selbstverständlichkeit die ich mir auch außerhalb dieser Räumlichkeiten wünschen würde. Letztes Jahr haben wir den ersten Abiturjahrgang verabschiedet. Junge, engagierte Menschen, die selbstbewusst dem Leben entgegentreten. Viele von Ihnen haben Großeltern oder Urgroßeltern die Shoah-Überlebende sind. Zugleich sind unsere Kinder auch stolze Hamburger und Hamburgerinnen. Treue Fussballfans – Ganz gleich, ob nun HSV oder St.Pauli. Ich wünsche mir, dass das so bleibt – und auch, dass unser heutiges, gelebtes Judentum und jüdisches Leben nach außen sichtbarer wird. Auch, dass wir mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit ein integrativer Teil des Hamburger Stadtgeschehens werden. Gemeinsam müssen wir dafür Sorge tragen. In unserer Gesellschaft darf NIEMAND aufgrund seiner Religion, Herkunft oder Hautfarbe ausgegrenzt oder diskriminiert werden. Jeder antisemitische und rassistische Angriff ist ein Angriff auf unsere demokratischen Werte. Somit möchte ich damit schließen, dass dagegen vorzugehen unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe und unsere gemeinsame Verantwortung.

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