Aus der Schule Schwenckestraße 91 wurde eine Sonderschule – in der NS-Zeit mit furchtbaren Folgen

(Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 321-2_ B 770 – Die Schwenckestraße hieß ehemals „1st Parkstraße“)

Am 13. November 1899 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft den Kauf eines Grundstücks für den „Bau einer 14-klassigen Volksschule nebst Turnhalle auf dem Platze am Stellinger Weg in Eimsbüttel“. Im Beschluss heißt es weiter: „Infolge der starken Zunahme der Bevölkerung in Eimsbüttel sei der sofortige Bau … einer Schule erforderlich.“ Der Bau begann am 10. August 1890, und wurde im März 1892 fertiggestellt. 1932 wurde daraus eine Sonderschule. Deren Schülerinnen und Schüler wurden in der NS-Zeit systematisch bei der Gesundheitsbehörde zum Zweck der Zwangssterilisation gemeldet.

Zeitzeugen erinnern sich, dass um die Jahrhundertwende am Stellinger Weg nur wenige Häuser standen: „Die Straße war nur bis zur Hälfte gepflastert, und an beiden Seiten wuchsen Linden … Die Schwenckestraße endete an der Schule Schwenckestraße 91/93.“ (1)

In der Nummer 91 wurde eine „Knaben“-, in der Nummer 93 eine „Mädchen-Volksschule“ eingerichtet. 1932 wurde aus der „Knaben-Schule“ in der Schwenckestraße eine sogenannten Hilfsschule, die im Juli 1943 zerstört wurde. Die „Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 93“ konnte vor den Flammen geschützt wurden. Zeitweilig lebten obdachlose Menschen aus Hamburg in der Schule „93“. Belegt ist, dass seit November 1944 bis Mai 1945 NS-Zwangsarbeiterinnen leben mussten. Die zerstörte Schule in der „91“ wurde nach 1945 nicht wieder aufgebaut.

Aus der „Knabenschule“ Schwenckestraße 91 wird 1932 eine Sonderschule

Ab 1932 wurde aus der „Knabenschule“ in der Schwenckestraße 91 eine sogenannte Hilfsschule, während die Schwenckestraße 93 eine „Mädchen-Volksschule“ blieb. In der Weimarer Republik gab es in Eimsbüttel Hilfsschulen in der Bundesstraße 94 und der Eichenstraße 55, wobei letztere in den 1920er Jahren aufgegeben wurde. Die Schülerinnen und Schüler, die in die Hilfsschule Schwenckestraße 91 eingewiesen wurden, kamen vor allem aus den Volksschulen Alsenstraße 19/21, Wrangelstraße 83/85, Löwenstraße 58 und Breitenfelder Straße 35.

Mit der Machtübernahme der NSDAP und des Stahlhelms ab 1933 – die NSDAP hatte keine Mehrheit im Parlament und war auf die Unterstützung anderer rechter Parteien angewiesen – bedeutete dies für die Schülerinnen und Schüler dieser Sonderschule einen tiefen Einschnitt in ihr Leben, der für viele zu einem späteren Trauma führte. Die NSDAP und der Stahlhelm beschlossen im Reichstag das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GesVeN) vom 14. Juli 1933. Ab dem 1. Januar 1934 definierte das Gesetz Menschen mit „angeborenem Schwachsinn“, Schizophrenie, „manisch-depressivem Irresein“, Epilepsie, erblicher Blindheit, Taubheit oder schweren körperlichen Beeinträchtigungen als „erbkrank“.

Erfassung aller Schülerinnen und Schüler aus sogenannten Hilfsschulen zum Zweck der Zwangssterilisation

Schnell wurde die bisherige Bildungskonzeption durch rassistische und „erbbiologische“ Kriterien ersetzt. Die Hilfsschulen wurden aktiv in die Umsetzung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GesVeN) einbezogen. Die Hamburger Behörden zeigten großen Eifer bei der Durchsetzung des Gesetzes. „Eine Verzögerung in der Durchführung der […] Sterilisation ist höchst unerwünscht“, hieß es am 14. September 1933 seitens der Gesundheitsbehörde. Bereits 1934 erreichte der ärztliche Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, eine Anordnung der Schulverwaltung, die ihm erlaubte, sämtliche Hamburger Hilfsschüler und ihre Familien auf „Schwachsinn“ zu untersuchen – mit dem Ziel, sie gegebenenfalls sterilisieren zu lassen.

Strukturell wurden die Hilfsschulen in der NS-Zeit zu einem „Sammelbecken zur Erfassung ‚minderwertiger‘ Kinder“. Spätestens ab 1935 wurde der Hauptzweck der Hilfsschule im Bereich der „erbpflegerischen Maßnahmen“ gesehen, d. h. der Zwangssterilisation. Am 19. Dezember 1934 leitete die Schulbehörde ein Schreiben des Gesundheits- und Fürsorgeamts an die Schulleitungen der Hilfsschulen weiter: „Die Anfrage, ob alle Hilfsschulkinder sterilisiert werden oder von Fall zu Fall entschieden wird, ist dahin zu beantworten, dass selbstverständlich von Fall zu Fall entschieden werden muss, um die wirklich erbgefährlichen Fälle von angeborenem Schwachsinn und evtl. sonstigen Erbkrankheiten zu erfassen. Eine unterstützende Mitarbeit der Hilfsschullehrer ist dringend wünschenswert, weil Hilfsschulkinder und deren Angehörige erfahrungsgemäß viel Schwierigkeiten bereiten.“

Mit jedem Schuljahr fand in den Volksschulen eine „Auslese für die Hilfsschule“ statt. 1938 schrieb die „Fachgruppe für Hilfsschulen“ im NS-Lehrerbund für Hamburg am Beispiel des Einzugsgebiets der Hilfsschulen Hausbruch, Neugraben und Fischbek, dass man 35 Schüler in den dortigen Volksschulen auf ihre Einweisung in die Hilfsschule „überprüft“ habe. „Zur Aufnahme vorgeschlagen: 24 Schüler.“

Oberschulrat Köhne, nach dem in Hamburg bis heute (2025) noch eine Schule benannt ist, beschreibt das „Auswahlverfahren“ von der Volksschule zur Hilfsschule: „Zu melden sind … bis zum 20.3. jedes Jahres die zu Beginn des nächsten Schuljahres voraussichtlich hilfsschulbedürftigen Kinder bei den Leitern der zuständigen Hilfsschulen … Aufzugeben sind alle Kinder, die nach zweijährigem Schulbesuch nicht das Ziel der 1. Klasse, nach dreijährigem Besuch nicht das Ziel der 2. Klasse und nach vierjährigem Schulbesuch nicht das Ziel der 3. Klasse erreicht haben … Bei Meldungen, die erst nach dem 3. oder 4. Schuljahr erstattet werden, ist ausführlich zu begründen, warum die Meldung nicht schon früher erfolgt ist.“

Lehrerinnen und Lehrer als Täter der Verfolgung ihrer Schüler:innen

Lehrerinnen und Lehrer beurteilten die jungen Menschen auf „Schwachsinn“ und andere angebliche Erbkrankheiten und lieferten Gutachten für die Erbgesundheitsgerichte. Sie wurden zu wichtigen Akteuren bei der Identifizierung und Beurteilung von Schülern, die potenziell für die Zwangssterilisation infrage kamen.

Ein Schulleiter der in der Hamburger Neustadt gelegenen Schule Poolstraße informierte z. B. sein Kollegium am 22. Dezember 1934: „Ein Lehrer und Erzieher, der nicht auf die mit der Geburt festgelegten Erbanlagen achtgibt, versündigt sich am Volksganzen, da der Einzelne Mitglied der ‚Volks- und Rassengemeinschaft‘ sei. Die von der Schule vermittelte Geistesbildung richtet sich daher auf das Ziel, das für die deutsche ‚Rasse- und Volksgemeinschaft‘ Wertvolle bewusst zu machen.“

Der Schulleiter der Sonderschule für Sprachkranke in der Altonaer Straße 38, Adolf Lambeck, Vorsitzender der Gaufachschaft V (Sonderschulen) des Hamburger NSLB, war überzeugt, dass Sonderschullehrer in besonderem Maße berufen seien, an der Umsetzung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ mitzuwirken.

Wie viele Schülerinnen und Schüler wurden in der NS-Zeit zwangssterilisiert?

In Hamburg wurden in der NS-Zeit über 16.000 Menschen zwangssterilisiert. Zurzeit besteht noch kein Überblick darüber, welche Schülerinnen und Schüler aus welcher Hilfsschule verstümmelt wurden, also auch nicht für die Schule Schwenckestraße. 1939 gab es in Hamburg 19 Hilfsschulen, in denen 3.900 Schülerinnen und Schüler in 169 Klassen nach den Vorstellungen der Nazis „unterrichtet“ wurden.

Es gibt für die Schwenckestraße 91 vereinzelte Namen wie den von Elly Geisler aus dem Hellkamp 36, die am 11. März 1943 nach Auschwitz, zusammen mit ihrer ganzen Familie deportiert wurde. In den Entscheidungen des “Erbgesundheitsgericht” sind nur die Wohnadressen der Jugendlichen aufgeführt, so dass man vermuten könnte, wo sie “beschult” wurden. Frieda B. (geb. 1924) wohnte mit ihren Eltern in der Schwenckestraße 49. Sie wehrten sich 1939 gegen die Entscheidung zur Zwangssterilisation ihrer Tochter, das Erbgesundgeitsobegericht bestätigte aber die Entscheidung. Die Richter meinten, dass Frieda für die “Angehörigen und die Volksgesundheit zu einer schweren Belastung werden würde“ und „erfordert nach allem die Unfruchbarmachung.”

Für die “Knaben-Volksschule” Schwenckestraße 91 gibt es leider nur die Namen der Schülerinnen und Schüler bis 1931. Die Namen ab 1932 sind bisher nicht bekannt.

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