Immer mal wieder will ich zu einzelnen Lehrlingen der jüdischen Werkschule in der Weidenallee 10 bc schreiben. Sie bestand von 1934 bis 1942. Auf der Basis meiner Kontakte zu noch Lebenden widme ich denen, die ab 1938 hier waren.
Einer der Schüler in der jüdischen Werkschule in der Weidenallee 10 bc war Alfred Heymann. Er gehörte zu den Mitlehrlingen u.a. von Klaus Heilbut, der später in den USA den Namen Kenneth Hale führte und 1939 aus Nazi-Deutschland fliehen konnte. Er starb 2021 im Alter von 99 Jahren.
Alfred Heymann wurde am 18. November 1923 in Hamburg geboren. Seine Mutter, Lea Salomon, geboren am 27. Februar 1886 in Hamburg, war seit Juli 1919 mit Paul Heymann, geboren am 10. Februar 1878 in Hamburg, verheiratet. Er war von Beruf Friseur. Alfred hatte noch zwei Geschwister: Hild war am 16. März 1920, Wilma am 18. Juni 1927 geboren.
Bis März 1930 konnte er den jüdischen Kinderhort in der Johnsallee besuchen, Ab April 1930 besuchte Alfred die Talmud Tora Schule. Nach dem Abschluss der Schule im März 1939 konnte er keine Ausbildung anfangen, da es Juden seit Februar 1938 verwehrt war, zur Berufsschule zu gehen. Die jüdische Gemeinde bot die Möglichkeit, dass jüdische Jugendliche eine Ausbildung erlernen konnten, die auch als Hachschara anerkannt wurde, eine Vorbereitung auf ein Leben in Palästina. Bis Februar 1941 war Alfred in der Werkschule, wo die Tischlerausbildung von Jakob Blanari verantwortet. Anfang März 1941 arbeitete er als „Tischlerhilfsarbeiter“ in der Tischlerei Reichert in Altona. Mit seinem Wochenverdienst von 32 Reichsmark trug er wesentlich zum Lebensunterhalt seiner Familie bei.
Die Familie lebte seit 1936 in der Schlachterstraße 40, heute Großneumarkt 38. Im Januar 1940 mussten sie in den ein so genanntes Judenhaus im Kielortallee 24 ziehen. Hilde Heymann konnte noch am 12. April 1939 mit ihrem Sohn, Sally, der am 5. September 1938 zur Welt gekommen war und ihrem Verlobten, Kurt Neumann, nach Shanghai fliehen. Die dortigen sehr schwierigen Lebensverhältnisse führten dazu, dass Sally 1943 starb. 1947 emigrierte Hilde mit ihrer Familie in die USA.
Im Mai 1941 wurde Alfred Heymann wegen angeblicher “Rassenschande” verhaftet und um Juli 1941 zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Zwischen 1935 und 1943 wurden in Hamburg 2211 Männer von den deutschen Richtern wegen „Rassenschande“ verurteilt. Die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren war erheblich höher; meist löste eine Denunziation die Ermittlungen aus. Im Verfahren gegen Alfred Heymann bestritt eine Zeugin den Vorgang. „Ihre Angaben tragen jedoch deutlich den Stempel der Unwahrheit auf der Stirn.“ Von September 1941 bis November 1941 war er in Fuhlsbüttel inhaftiert.
Auf Bitten seiner Tante, Rosa Salomon, wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Schwester seiner Mutter hatte am 19. November 1941 an die Staatsanwaltschaft geschrieben: „Da ich in nächster Zeit Hamburg verlassen muß, möchte ich den Verurteilten mitnehmen. Der Vater des Verurteilten ist bereits evakuiert. Andere Angehörige hat er hier nicht.“ Am 6. Dezember 1941 wurden sie nach nach Riga deportiert. Seite Eltern Lea und Paul Heymann und Schwester Wilma waren bereits am 8. November 1941 nach Minsk deportiert worden. Sie überlebten den Holocaust nicht.
Im “Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft 1933 – 1945” (Stand 1986) wird notiert, dass er am 1. Oktober 1944 zusammen mit seiner Tante ins KZ Sutthoff verschleppt wurde. Dort verloren sich seine Spuren. Stutthof war ein deutsches Konzentrationslager, 37 Kilometer östlich von Danzig bei Stutthof. Das Lager wurde am 9. Mai 1945 von der 48. Armee der 3. Weißrussischen Front, als letztes der größeren Konzentrationslager, befreit. Insgesamt wurden ungefähr 110 000 Menschen nach Stutthof und in dessen Außenlager deportiert, mindestens 65 000 von ihnen starben dort.