Am 28. Oktober 1938 wurden die Familien Hermann und Schreiber aus der Juliusstraße 35 verschleppt

Am 25. Oktober 2023 werden morgens vor der Juliusstraße 35 im Schanzenviertel sieben Stolpersteine verlegt. Diese kleinen Messingsteine auf dem Gehweg sollen an NS-Opfer erinnern, die hier in Ihrer Nachbarschaft einst wohnten und später ermordet wurden. 

Für wen sind die Steine?

Die Stolpersteine sind für die Familien Herrmann und Schreiber, die bis zum 28. Oktober 1938 hier in der Juliusstraße 35 Ihre Nachbarn waren.  An diesem Tag wurden Ruben Hermann (geb. 28. Februar 1888) und Chaja Taube Heilmann (geb. 21. September 1884, verh. Hermann) mit ihren drei Kindern, Selma (geb. 21. Oktober 1924), Max (geb. 28. Dezember 1922) und Cilly (geb. 7. Juni 1930) an die Grenze zu Polen verschleppt. Ihr Sohn Benno (geb. 23. Oktober 1919) konnte kurz vorher in die USA ausreisen. 

Ruben und Chaja Hermann wurden in Polen/Ukraine geboren, ihre Kinder kamen alle in der damaligen Stadt Altona, heute Hamburg, zur Welt. Sie  lebten seit 1918 in Hamburg, zuerst in der Langenfelder Straße 12, dann in der Parallelstraße 37 (heute Eifflerstraße) und viele Jahre in der Juliusstraße 35, im 3. Stock, in einer 3 ½- Zimmer- Wohnung. Ruben war Reisender für das Textilwaren-Unternehmen J. Stern im Neuen Wall 67. 

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 351-11_25651

Auch die jüdischen Mieter, Karl Koppel Schreiber (geb. am 7. November 1877), Pearla Peppi König (geb. am 22. Januar 1889,verh. Schreiber) und ihre vier Kinder, Henni (geb. 25. März 1915 in Kiel), Hermann (geb. 23. Januar 1922), Markus (geb. 10. März 1917) und Nathan (geb. 20. März 1920) wurden an diesem Tag von der Polizei abgeholt. Während ihre Tochter Henni noch in Kiel zur Welt kam, wo die Familie bis 1916 lebte, wurden die drei Jungs in Altona/Hamburg geboren. Die Schreibers wohnten seit 1931 im 1. Stock der Juliusstraße 35. Die Jahresmiete für die 5-Zimmer Wohnung betrug 471,52 RM zum damaligen Zeitpunkt. Schreiber arbeitete von 1928 bis zur Deportation am 28. Oktober 1938 im Geschäft seines Bruders, Paul Schreiber, der ein Textilwaren-Geschäft im Alten Wall (neben Hamburger Rathaus) betrieb. 

Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 351-11_12867

Was war am 28. Oktober 1938 passiert?

Hitler hatte alle polnischen Juden, die in Deutschland lebten, in einer reichsweiten Aktion am 28. Oktober 1938 aus Deutschland  ausgewiesen und an die deutsch-polinische Grenze deportiert. Die Familien Hermann und Schreiber wurden morgens aus den Betten gerissen und von hier in die Viktoria-Kaserne (bei der Max- Brauer- Allee, Höhe Fußballplatz Teutonia 05) gebracht. Eine weitere jüdische Familie, die von Wolf Zloczower, soll an diesem Tag ebenfalls aus der Juliusstraße 35 abgeholt worden sein, erklärte die damalige Haus- verwaltung. Für sie liegen Stolpersteine vor der Stresemannstraße 71, unmittelbar um die Ecke zur Juliusstraße. Sie wohnten seit 1921 in der Juliusstraße 35, in einer der beiden Erdgeschoss-Wohnungen. Auch andere jüdische Nachbarn aus dem Schanzenviertel wurden am 28. Oktober 1938 aus dem Schlaf gerissen. So die Familie Estra und Moritz Meisels mit ihren drei Kindern aus der Juliusstraße 12. Von der Viktoria-Kaserne ging es zum Altonaer Bahnhof.

Von dort fuhren Züge mit den 1.000 Personen an die deutsch-polnische Grenzstadt nach Neu Bentschen/Zbaszyn. 

Ihre Wohnungen mussten die drei jüdischen Familien aus der Juliusstraße 35 unmittelbar verlassen. Die Gestapo und der Hausmeister, so kann man den Akten der Hermanns entnehmen, hatten einen Wohnungsschlüssel. Als die Wohnung im Januar 1939 wieder neu vermietet wurde, war sie komplett leer. Auf die Frage nach dem Hausstand der Hermanns aus der 3 ½ -Zimmerwohnung, meinte nach 1945 die Hausverwalterin aus der Juliusstraße 35, dass sie sich das auch nicht erklären kann. Die Hermanns müssten sich alles nach Polen ins Lager nachliefern lassen haben, was gelogen war.

Was wurde aus den beiden Familien Schreiber und Hermann?

Der polnische Staat verweigerte im Oktober 1938 den Menschen die Einreise, so dass sie mehrere Wochen vor dem deutschen Grenzübergang Neu-Bentschen unter menschenunwürdigen Bedingungen kampieren mussten. Einzelne, wie die Meisels aus der Juliusstraße 12, konnten zuerst nach Hamburg zurück, andere, die Verwandte in Polen hatten, konnten zu ihnen weiterreisen. Eine große Gruppe blieb aber an der Grenze im Lager. Die Recherche zu den Hermanns und Schreibers lässt die Tragik dieser Deportation deutlich werden, da man nicht weiß , was aus denen wurde, die hier noch im Juli 1939 lebten. Die Kinder der beiden Familien, die überlebten, konnten die Spuren ihrer Eltern und Geschwister nicht mehr ermitteln. Karl, Pearla, Nathan und Markus Schreiber sowie Chaja Taube, Ruben und Jetti Hermann wurden am 8. Mai 1945 für tot erklärt. 

Es waren vor allem jüdische Hilfsorganisationen, die sich um Lösungen für die Kinder bemühten. Henni und Hermann Schreiber sowie Selma und Yeti Hermann gehörten zu denen, die im Mai 1939 mit einem der Kindertransporte vom polnische Gdingen nach England flüchten konnten. Max Herrmann konnte nach Palästina fliehen.  

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