„Im Sinne der Rassenreinheit“

Die ZEIT Hamburg berichtet in ihrer heutigen Digitalausgabe über die NS-Geschichte der Schule Schanzenstraße. Dabei schreibt sie auch über die geplante virtuelle Kundgebung am Freitag, den 12. Februar 2021 um 18 Uhr zum Zwangsarbeitslager in der Schule bis 1945.

Aufhänger ist ein Schreiben an die Schulbehörde: „1942 weigert sich eine Hamburger Schulleiterin, jüdische Kinder aufzunehmen. … Juden will sie nicht an ihrer Schule haben. Am 2. April 1942 setzt Emma Lange ihre Unterschrift unter einen zweiseitigen, offiziellen Brief, dessen bürokratische Sprache nicht die Brutalität ihres Anliegens verbirgt.

Die Leiterin der Volksschule im Hamburger Schanzenviertel findet sechs Gründe, warum sie keine Juden aufnehmen kann. „Der unbestreitbare gute Ruf der alten Mädchenvolksschule Schanzenstr. 105 würde mit einem Schlage schwer gefährdet werden, wenn jüdische Kinder in dem Schulgebäude Schanzenstr. 105 / Altonaerstr. 58 untergebracht werden würden“, schreibt sie unter Punkt eins. „Der zum größten Teil seit über 30 Jahren an der Schule tätige Lehrkörper der Schanzenstraße kennt die Elternschaft der Schule genau.“ Es sei damit zu rechnen, dass besser gestellte Familien aus den Vorderhäusern „sowie im besonderen die Parteigenossen unter den Eltern“ ihre Kinder umgehend in die benachbarten Schulen umschulen würden. Die Umgebung sei an jüdische Bevölkerung nicht gewöhnt.“

Den Brief, den Emma Lange vor bald 79 Jahren schrieb, entdeckte … die Historikerin Anna von Villiez in diesem Jahr bei einer Recherche im Staatsarchiv wieder. Er war bislang nur einem kleinen Fachkreis bekannt. Das menschenverachtende Schreiben hat mehrere Interessierte zusammengebracht, die sich mit der NS-Vergangenheit der Schule beschäftigen. Daran beteiligt sind eine Initiative für Stadtteilgeschichte, aber auch von Villiez, die Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule in Hamburg, und die heutige Schulleiterin der Ganztagesgrundschule Sternschanze, Svenja Hohnke. Gemeinsam wollen sie an das Schicksal der jüdischen Kinder erinnern.

„Im Viertel interessieren sich viele für die Geschichte der Schule im Nationalsozialismus. Von den Zwangsarbeiterlagern und der Haltung der Schulleiterin Lange zu den jüdischen Kindern wusste hier niemand etwas“, sagte Holger Artus von der Initiative Kein Vergessen im Weidenviertel, hat bei seinen Recherchen außerdem ein Zwangsarbeiterlager auf dem Schulgelände entdeckt. An das Leid der Männer, die meist aus Italien stammten, erinnern er und seine Mitstreiter am 12. Februar 2021 um 18 Uhr bei einer Kundgebung gegenüber der Schule Schanzenstraße. In den folgenden Monaten sollen weitere Veranstaltungen folgen.

Dass in der bunten und linken Schanze die Schule zur Zeit des Nationalsozialismus bislang kaum Thema war, erklärt Artus mit einer langen Kontinuität im Kollegium. „Bis 1982 gab es noch Lehrer mit NS-Vergangenheit an der Schule Sternschanzenstraße“, sagt der Hobbyhistoriker. „Die Geschichte wurde deswegen lange nicht aufgearbeitet.“ Im November, so planen es Artus und seine Mitstreiterinnen, soll eine Stolperschwelle auf dem Schulgelände an der Schanzenstraße verlegt werden, die an die ermordeten Juden erinnert, die von dort aus deportiert worden. Unter den Opfern waren auch viele der Schüler, die Emma Lange nicht aufnehmen wollte. Ihrer soll auch mit einer szenischen Lesung gedacht werden, in der aus Briefen der Kinder vorgetragen wird – und vielleicht auch aus dem Schreiben von Emma Lange aus dem April 1942.

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