Rede von Ulf Bollmann auf der Kundgebung am 9. November 2019

Ulf Bollmann von der Initiative „Gemeinsam gegen das Vergessen –Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer“ sprach auf der Kundgebung vor dem Kleinen Schäferkamp 48 am 9. November 2019. Hier die Stichworte seiner Rede.

Stichworte von Ulf Bollmann zur Gedenkkundgebung Kleiner Schäferkamp am 9.11.2019:

  • Seit Anfang der 1990er-Jahre Beschäftigung mit der damals noch zu den „vergesse- nen“ Opfern zählenden Verfolgten der NS-Zeit.
  • Ursache für das „Vergessen“ war nicht zuletzt, dass die Verfolgung nicht erst 1933 begann und vor allem nicht nach 1945 endete.
  • Gesetzliche Grundlage für die Verfolgung schwuler Männer war der § 175, der 1935 von den Nationalsozialisten verschärft wurde. Betroffen waren aber auch lesbische Frauen und transidente Menschen, die zeitgenössisch Transvestiten genannt wur- den.
  • Der § 175, der immer drohte auf Frauen ausgeweitet zu werden, wurde erst 1969 entschärft, erst zu diesem Zeitpunkt wurde einvernehmliche Sexualität zwischen er- wachsenen Männern über 21 straffrei, seit 1973 gibt es eine gleiche Schutzalters- grenze wie bei Heterosexuellen und eine Straffreiheit für mann-männliche Prostituti- on; 1994 erfolgte die Streichung des § 175 aufgrund der Rechtsangleichung mit der ehemaligen DDR.
  • Seit 2004 geschieht die Verlegung von Stolpersteinen auch für die Opfer der Homo- sexuellenverfolgung, über 310 Steine wurden dafür in Hamburg verlegt.
  • Es sind vielfach mehrfach stigmatisierte Menschen, ca. 50 Personen bekannt, die zu- sätzlich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurden.
  • Wie immer bei biographischer Arbeit begegnen uns auch schwierige Lebensläufe, die historisch aus ihrer Zeit heraus zu betrachten sind. Wir sollten uns vom Schwarz- Weiß-Denken in Gut und Böse verabschieden: uns begegnen (nicht nur) unter den homosexuellen Opfern auch Personen, die aus Opportunismus oder aus Überzeu- gung zunächst einigen Ideen der Nationalsozialisten zustimmten, es gibt Kleinkrimi- nelle und Verräter, oder Personen, die die erwachende Sexualität von Heranwach- senden durch die Position eines Erwachsenen und mitunter als Vorgesetzte ausnutz- ten und deren Taten auch heute noch unter Strafe gestellt würde.
  • Jedoch dürfen wir nie vergessen, dass alle diese Menschen nach Verbüßung von Strafen im Unrechtssystem der Nationalsozialisten durch eine willkürliche „Nebenjus- tiz“ durch Kriminalpolizei und Gestapo sogenannte „Vorbeugehaft“ in Konzentrations- lagern erfuhren, zu „freiwilligen“ Kastrationen gedrängt wurden oder als psychisch er- krankt eingestuft und durch Euthanasie in „Tötungsanstalten“ ermordet wurden.
  • Die Forschung geht heute von ca. 15.000 ermordeten Homosexuellen, zumeist Män- nern, in Konzentrationslagern aus; die Dunkelziffer der Gesamtzahl der Opfer ist hoch, allein in Hamburg unter den Opfern gut 20 % der Todesfälle durch Suiziden vor bzw. während einer Verfolgung ermittelt wurden.
  • Für 22 Opfer der Homosexuellenverfolgung liegen Stolpersteine im Stadtteil Eimsbüt- tel darunter in der Vereinsstraße 39 für Ernst Wenkel, und 42 für Wilhelm Prahl sowie in der Weidenallee 65 für Johannes Hild: diese Biographien sind unter www.stolpersteine-hamburg.de nachzulesen und allein diese drei Lebensgeschichten spiegeln beispielhaft die Schicksale verfolgter Homosexueller wieder:

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  • Sie werden Opfer von Denunziationen aus der Bevölkerung, erleiden vor ihrem Tod eine Odyssee an Haftstrafen, einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nieder- gang, erfahren wenig Unterstützung von Angehörigen und nach ihrem Tode (Kon- zentrationslager, Suizid) wird ihr Verfolgung durch die Nachkriegsjustiz als „gewöhnli- che“ Kriminalität nicht entschädigt und ihre Verfolger gedeckt.
  • In Eimsbüttel gab es zwar keine einschlägige Kneipenszene, jedoch war rund um die Christuskirche und eine dort vorhanden gewesen öffentlich Toilette ein beliebter Treffpunkt für homosexuelle Männer; man begab sich nach dem Kennenlernen in die umliegenden Parkanlagen und entlang des Isebekkanals.
  • Eimsbüttel war auch Wohnort der Verfolgerseite, darunter die auch für lesbische Frauen und heranwachsende Mädchen zuständige Senatsrätin in der Sozialbehörde Dr. Käthe Petersen (1903-1981), die in der Straße Am Weiher 21 wohnte. Sie war Amtsvormund für ca. 1.450 Frauen, darunter auch Lesben. In 600 Fällen betrieb sie die Sterilisierung „sozial auffälliger“ Frauen und billigte die Verlegung von Mündeln in Tötungsanstalten. Sie verstarb mit vielen kirchlichen und staatlichen Ehrungen ver- sehen, ohne sich jemals für ihre Taten

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