Betr: Laura Rosenberg, Vereinsstraße 18

Laura Rosenberg und ihre Familie lebten bis 1944 in der Vereinsstraße 18. Laura ging von 1940 bis 1943 in die Schule Schanzenstraße/Altonaer Straße, bei Ihnen gleich um die Ecke. Die Rosenbergs waren Sint*izze. Diese Volksgruppe,  die Sinti und Roma, wurden durch das NS-Regime verfolgt, deportiert und zehntausendfach ermordet.

Um was geht es?

Nach der Machtergreifung durch die Nazis wurden zuerst die Mitglieder der SPD und KPD nach 1933 verfolgt, verhaftet, in Konzentrationslagern verschleppt und ermordet. Andere Menschengruppen erfuhren danach und systematisch das gleiche Schicksal: Bei Ihnen in der Vereinsstraße erinnern mehrere Stolpersteine auch an die homosexuellen NS-Opfer, zum Beispiel Ernst Wenkel aus der Vereinsstraße 39. Unser Wohngebiet war ein Viertel, in dem hunderte jüdische Menschen wohnten, die – wenn sie nicht vor 1939 fliehen konnten – Opfer der Nazis wurden. Über die Schule Schanzenstraße wurden im Juli 1942 über 1.500 jüdische Menschen nach Theresienstadt/Terezin in der CSR verschleppt. Weniger im öffentlichen Blick ist, dass auch bis zu 500.000 Roma und Sinti betroffen waren. Auch ein Kind der Rosenbergs aus der Vereinsstraße 18 wurde ermordet.

Über die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit

Ab 1933 begann die Diskriminierung und Ausgrenzung von “zigeunerischer Personen” auf staatlicher Ebene, gepaart mit rassistischer und völkischer Ideologie. 1935 wurden Sinti und Roma in den Nürnberger “Rassegesetzen” den jüdischen Menschen gleichgestellt. “Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner”, erklärte der damalige deutsche NS-Innenminister, Wilhelm Frick. Man sprach von einer „deutschen Wesensart“, die den Sinti und Roma fremd sei. Man bezeichnete sie als „asozial“ und „arbeitsscheu“. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs durften Sinti und Roma ab Mitte Oktober 1939 ihre Wohnorte nicht mehr verlassen. Ende 1939 plante die Stadt, alle in Hamburg lebenden Roma und Sinti in einem Lager in Billstedt-Öjendorf zu internieren: „Das Lager darf nur zur Arbeit verlassen werden,“ stand in der Lagerordnung. Die Pläne wurden fallen gelassen, da man sich für die Deportation und Vernichtung der Sinti und Roma entschieden hatte. Am 20. Mai 1940 wurden über 1.000 Roma und Sinti aus Hamburg ins polnische Belzec transportiert. Am 11. März 1943 erfolgte die zweite und am 18. April 1944 die dritte Deportation, beide nach Auschwitz. Nur wenige überlebten. 

Wer waren die Rosenbergs?

Anna Rosenberg wurde am 4. August 1899 geboren und war seit 1924 mit dem „deutschen“ Heinrich Rosenberg verheiratet. Sie lebten seit 1925 im Alten Steinweg 52, zusammen mit ihren vier Kindern Johann (geb. 1921), Emilie (1923), Martin (1929) und Laura (1930). 1939 war Anna, nachdem Heinrich verstorben war, zur Familie ihres Vaters in die Vereinsstraße 18 gezogen, die dort seit 1925 wohnte. Anna war seit 1918 als gewerbliche Verkäuferin freiberuflich aktiv und wirtschaftlich erfolgreich, bis 1940 die Gestapo ihr den Gewerbeschein abnahm und sie ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte. Sie musste sich beim Arbeitsamt melden und wurde als Zwangsarbeiterin verpflichtet. 1943 zogen die Rosenberg nach Sandlingen bei Celle. Als die dortige Nachbarschaft erfuhr, dass es sich um eine Sinti-Familie handelte, flohen sie weiter nach Beedenbostel. Hier wurden sie ebenfalls vertrieben und lebten seit dem 22. Dezember 1944 wieder in Hamburg in der Thadenstraße 83. 

Die Kinder von Anna Rosenberg

Da Heinrich Rosenberg kein Sinti war, wurden die Rosenbergs von der Nazi als „Versippte“ bezeichnet. Sie wurden nicht wie die anderen Sinti und Roma aus Hamburg deportiert. Ihre jüngste Tochter Laura ging ab 1937 in die Schule, seit 1940 in die Schule Schanzenstraße. Die damalige NSDAP-Schulleiterin Emma Lange mahnte im April 1942 in einem Schreiben an die Schulbehörde, dass sie den Schulablauf störe, da sie eine “Versippte” sei. Emilie wurde ab 1942 als Zwangsarbeiterin bei der Sackfabrik Egmont Gross und bis 1944 bei einer Metallwarenfabrik Altona eingesetzt. Sie und ihre Geschwister, Emilie und Martin, wurden auf Anweisung des damaligen Gesundheitssenators Ofterdinger von der Gestapo abgeholt und im Frauenkrankenhaus des AK Altona in der Bülowstraße zwangssterilisiert.

Ansicht Bülowstraße 9 (2022), ehemals Frauenklinik des AK Altona

In Hamburg wurden in der NS-Zeit zehntausende Menschen zwangssterilisiert. Zur Legitimation dieses Verbrechens, um das „deutsche Blut“ rein zu halten, hatte die Stadt einen so genannten Erbgerichtshof eingerichtet, der massenhaft „beschloss“, dass diese Misshandlungen rechtens sind. Bei Emilie, Martin und Laura erfolgte es ohne Gerichtsbeschluss. Der ausführende Arzt, Prof. Hans Hinselmann, drohte den von ihm zwangssterilisierten Sinti*izze, dass sie nach Auschwitz kommen, wenn sie der Maßnahme nicht zustimmen. Laura Rosenberg litt schwer unter der Misshandlung und ging jahrelang nicht mehr aus der Wohnung ihrer Familie, auch nach 1945. Willi Johann (geb. 13. Oktober 1921) war am 21. April 1939 festgenommen worden und saß bis zum 27. Juli 1939 im Hamburger Untersuchungsgefängnis. Von dort wurde er ins Staatskrankenhaus Langenhorn eingewiesen. Am 8. August 1943 wurde er erst nach Scheuern  verlegt, von wo er am 30. September 1943 in die so genannte Pflegeanstalt Hadamar gebracht und am 12. Oktober 1943 ermordet wurde. Von 1941 bis 1945 wurden hier über 15.000 Menschen erst vergast (1941), dann später mit Spritzen umgebracht oder man hat sie verhungern lassen (ab 1943). Wilhelm Lutz, der Bruder von Anna Rosenberg, gehörte zu den Deportierten vom 11. März 1943. Er wurde in Auschwitz ermordet. 

Nach 1945

Anna, Emilie, Martin und Laura Rosenberg haben die NS-Verfolgung überlebt, ihr Bruder nicht. Mit der Befreiung Deutschlands und Europas vom Faschismus 1945 fand das Morden ein Ende. Es gehört aber zu den schmerzhaften Wahrheiten, dass die Hetze und der Hass gegen Roma und Sinti damit nicht endete. Im Handeln und Denken in der Stadt nach 1945 waren sie weiterhin Ansässige, Diebe und galten als arbeitsscheu, wurden verfolgt und ausgegrenzt. Allein eine näherungsweise finanzielle Entschädigung der Ermordeten und der Verfolgung war ein Spießrutenlauf, der sich bei den vier Rosenbergs bis in die 1970er Jahren in Gerichtsverfahren verfolgen lässt. Ungeniert wurde auf ihre “Herkunft” verwiesen, um sie zu diffamieren und auf diesen “Urteilen” basierend, ihren angeblichen Eigenschaften, um sie um ihre Ansprüche zu bringen. Es ist schändlich, was damals Staatsbedienstete unserer Stadt erklärt und entschieden haben. Die Ärzte, die Emilie, Martin und Laura begutachtet und misshandelt hatten, wurden hingegen in den 1950er Jahren rehabilitiert. Der damals ausführende Arzt, Prof. Dr. Hinselmann, wurde erst 2015 aus der Liste der Ehrenmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ausgeschlossen. 

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