Berthie Philipp, eine Überlebende der Shoah, starb 1960 in Hamburg. Zum 100. Geburtstag ihres 1936 verstorbenen Ehemanns Rudolph Philipp, entschied sie sich für die Gründung einer Stiftung und unterbreitete der Stadt Hamburg am 12. November 1958 einen entsprechenden Vorschlag. Die Stiftung sollte bedürftige, ältere Musiker unterstützten, aber auch berufstätige Musiker mittleren Alters, die keine Wohnung hätten.
Berthie Philipp wurden am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt/Terezin deportiert und überlebten als eine der wenigen aus diesen Juli-Deportationen. Ohne ihre Beharrlichkeit wäre es nicht zu dieser Stiftung gekommen, will sie um die Mittel dafür, die nach 1945 aus den Wiedergutmachungszahlungen für die Verfolgung, den Diebstahl ihres Eigentums und den angefügten Schaden durch das NS-Systems bis 1945, hart ringen und kämpfen musste. Konsequent zeigte sie Haltung: Seit ihrer Rückkehr nach Hamburg im November 1945 bis zu ihrem Tod im Oktober 1960 hat sie mehrere Werke geschafften, sei es ihr Roman “Die Todgeweihten “ und viele weitere Schriftstücke, in denen sie ihre Erlebnisse in der NS-Zeit darlegt.
Wer waren sie?
Berthie Philipp, geborene Sophar, kam am 12. Dezember 1881 in Hamburg auf die Welt, Rudolph Philipp am 13. November 1858. Er studierte in Frankfurt Musik und Kompositionen. Als Musikkritiker war er jahrzehntelang “erster Musikkritiker” für den “Hamburger Anzeiger”, eine der größten Tageszeitungen Hamburg in den 1920er Jahren. Sie gehörte zu den ersten Zeitungen 1933, die von den Nazis neben den Zeitungen der KPD und SPD verboten wurden. Er schrieb für das “Stuttgarter Tageblatt” und gelegentlich für die “Herold Tribune, New York.” 1918 betonten eine Reihe Hamburger Theater- und Opernverantwortlichen in einem Schreiben an den Senat die Rolle von Rudolph Philipp für die Stadt Hamburg: “Er wurde bei der Masse seiner Leser gewissermaßen zu einem musikalischen Erzieher und mit seinem musikalischen Aufklärungsdienst hat er wesentlich zur Hebung der künstlerischen Kultur Hamburgs betragen. Neben seiner ersprießlichen Kritikerarbeit entfaltete Herr Philipp auch eine höchst erfolgreiche Tätigkeit als Komponist. Seine Lyrik, insbesondere seine herzigen, feinsinnigen und tiefgekühlten Lieder im Volkston sind tatsächlich populär geworden und weit über seine Vaterstadt bekannt.” Seine Lieder waren im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert häufig in Konzerten zu hören. Hertha Dammann-Laue, eine Hamburger Sängerin, erinnerte später (1953), dass sie bis 1933 sehr viele Lieder von Rudolph Philipp gesungen hätte. “Die Lieder von dem Komponisten Philipp sind volkstümlicher Art und seinerzeit beliebt gewesen. Der Publikumserfolg was außerordentlich.” Isa Roland, eine durch ihre Darbietungen über die NORAG in den 1920er Jahren bekannte Sängerin, sagte, dass sie seine Lieder häufig gesungen hätte. “Ich kann mich auch noch erinnern, dass ich in meinen Programmen die Lieder des Komponisten Philipp an den Anfang gestellt habe, weil es um Kompositionen ernsteren Gehalts gehandelt hat.”
Der Hamburger Senat hatte 1928 zu Ehren des 70-Jährigen im Großen Saal der Musik ein Festkonzert veranstaltet. In der NORAG gab es aus diesem Anlass eine Rundfunksendung, in der insgesamt 30 seiner Tondichtungen zur Aufführung kamen. 1931 wurden drei Stücke Ballett-Suite “Elvira” im der NORAG zur Aufführung, aber auch 1932 gab es bei der NORAG ein Abend mit seinen Liedern. Bis 1933 war er für die Norddeutsche Rundfunk AG (NORAG) mit Aufträgen zur Programmgestaltung beschäftigt worden, ferner mit Privatgutachten und als Preisrichter bei musikalischen Veranstaltungen vielbeschäftigt. Seine Kompositionen wurden u.a. im Musikverlag Benjamin, Hamburg, Johan August Böhme, auch Hamburg und Josef Andre, Frankfurt und John Maring, auch Frankfurt, verlegt.
Berthie Philipp schrieb in den 1920 und 1930er Jahre Romane und Märchen, von den auch welche vor 1932 in der NORAG veröffentlicht worden. Zu ihren Romanen und Erzählungen gehörten eine Bauernkomödie, „Veronika Ambusch”, “Herzlinde”, “Prinzessin Tausendschön” und weitere Novellen.“Prinzessin Tausendschön” und “Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht” wurden im Rundfunk erzählt. 1946 erschien ihr Roman “Die Todgeweihten”, die über die Deportation und das schwere Leben in Theresienstadt/Terezin erzählt.
Zum 100. Geburtstag von Rudolph Philipp schreibt der damalige Hamburger Kultursenator, Dr. Hans-Harder Biermann-Ratjen (FDP) 1958 an Berthie Philipp, dass der den Geburtstag “nicht ohne ein nachdrückliches Gedenken an ihn vorbeigehen lassen” möchte. “Er ist hier durchaus nicht vergessen, mit welcher Hingabe und welch’ fruchtbaren Einfluss Rudolf Philipp durch lange Jahrzehnte im musikalischen Hamburg gewirkt hat.“
Die Vernichtung der Werke von Rudolph und Berthie Philipp
Die künstlerischen Werke von Rudolph Philipp wurden durch die Nazi komplett zerstört. Nach seinem Tod am 3. März 1936 machte sich Berthie Philipp daran, seine handschriftlichen Noten abschreiben lassen und mietete 1941 bei der Hamburger Sparkasse von 1827 ein Schließfach. Die Werke für ihre Rundfunksendungen bei NORAG hatte sie hier ebenfalls eingelagert. Nach ihrer Deportation am 15. Juli 1942 ließ die Hamburger Sparkasse von 1827 es zu, dass die Gestapo das Schließfach öffnen konnte und alles vernichtete. Damit wurde nicht nur ihr künstlerischer Nachlass vernichtet, sondern er geriet bis heute vollständig in Vergessenheit. Berthie Philipp hatte bis zum Machtantritt der Nazis in Hamburg für den Rundfunk Erzählungen verfasst. Der Hamburger Benjamin Musikverlag, über den er die Kompositionen Stücke verkaufte, wurden 1939 “arisiert”, Raubkäufer waren die heutigen Sikorski Musikverlage. Alle Noten, die Jüdinnen und Juden geschrieben hatten, dürften damals ebenfalls vernichtet worden sein.
Die Gründung und Tätigkeit der Stiftung
Am Vorabend des 100. Geburtstags von Rudolph Philipp wendete sich Berthie Philipp am 12. November 1958 an den Senat, dass sie plane, aus den Wiedergutmachungszahlungen eine Stiftung gründen zu wollen, “um den Namen ihres Mannes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.” In den Gesprächen mit der Stadt wurden verschiedenen Möglichkeiten mit der bereits schwer erkrankten Berthie Philipp erörtert, wie man ihren Wunsch realisieren kann. Zu den Vorschlägen der Stadt gehörte, sich am Bau eines Studentenwohnheims am Wiesendamm zu beteiligen.
Ab Januar 1959 konnte sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Am 15. Oktober 1960 starb sie. In ihrem Testament hatte sie festgelegt, dass 50.000 DM von ihrem Vermögen in die Stiftung einfließen sollten. Am 3. April 1962 wird eine Stiftung errichtet, im Gedenken an ihren im Jahre 1936 verstorbenen Ehemann, des Musikkritikers und Komponisten Rudolf Philipp. In der Satzung wurde festgelegt, dass der Zweck “die Unterstützung notleidender, bedürftiger Künstler und deren Angehörigen bzw. Hinterbliebenen” ist. “In erster Linie sollen Musiker unterstützt werden.” Es wird ein dreiköpfiger Vorstand gebildet. Die Stiftung besteht bis heute. Bis heute hat die Stiftung ein Dauerwohnrecht an vier Wohnungen im Jenischstift, Tarpenbekstr. 93a von „Senator Martin Johan Jenisch wohltätige Stiftung für hilfsbedürftige Familien mit Sitz in Hamburg“.