Ingo Wille legte heute vor den Namenstafeln im Eingangsbereich der Schule Schanzenstraße Blumen nieder. Die Tafeln enthalten die Namen der 1697 jüdischen Menschen, die am 15. und 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden.
Seit etwa 15 Jahren engagiert sich Wille in der Hamburger Stolperstein-Initiative. Er erforscht ehrenamtlich Lebensgeschichten der Menschen, die vom NS-Staat ermordet wurden und an die Stolpersteine auf den Hamburger Fußwegen erinnern. Besonders die Namen von Rosalie Pniower, Franziska Riess und Margarethe Herrmann seien ihm präsent.
„Im Oktober 2023 verlegten wir Stolpersteine für Rosalie Pniower und ihre Tochter Franziska Riess vor dem Wohnhaus im Mittelweg 162“, berichtete er im Gespräch. Der Stolperstein zur Erinnerung an die Tochter Margarethe Herrmann war schon vor längerem in den Fußweg eingelassen worden. Wille zeigte auf die Namen von Rosalie Pniower und Margarethe Herrmann auf der Tafel. „Beide wurden am 19. Juli 1942 über die Sammelstelle Schule Schanzenstraße zunächst zum ehemaligen Hannoverschen Bahnhof gebracht und dann nach Theresienstadt/Terezin deportiert.” Franziska Riess wurde am 11. Juli 1942 nach Auschwitz verschleppt und ermordet.
Auch nach vielen Jahren der Recherche- und Biografiearbeit habe sich für ihn keine Routine eingestellt. „Ein besonders berührendes Erlebnis ist es, wenn Angehörige zu einer Stolperstein-Verlegung nach Hamburg kommen.” Im Falle von Rosalie Pniower und Margarethe Herrmann war deren Urenkelin bzw. Enkelin extra aus Australien gekommen.”
Alles begann mit einer Email-Anfrage an die Hamburger Stolperstein-Initiative. Die Tochter von Margarethe Herrmann, Ellen, war 1948 nach Australien ausgewandert. „Margarethe Herrmanns Enkelin wollte das Schicksal ihrer Verwandten genauer erfahren. In der Folge der Email-Anfrage entblätterte sich nach und nach die Geschichte der Familie Pniower, ihrer Verfolgung, ihrer Deportation über die Schule Schanzenstraße und ihrer Ermordung in Theresienstadt/Terezin und Auschwitz.”
Vor der Namenstafel erzählte Ingo Wille einiges über Rosalie Pniower und ihre Töchter, Margarethe und Franziska. Rosalie Pniower war eine geborene Wolff. Sie kam am 10. Januar 1868 in Hamburg als eines von sechs Geschwistern des erfolgreichen Zigarrenproduzenten und türkischen Honorarkonsuls Louis Wolff zur Welt. 1928 heiratete sie den Restaurateur Max Pniower. Das Paar hatte drei Kinder: Franziska, Margarethe und Edith. Letztere wanderte bereits 1924 nach Südafrika aus. Rosalie Pniower, Franziska Riess und Margarethe Herrmann wurden Opfer des nationalsozialistischen Judenhasses.
Wille verwies über seine Rechercheergebnisse, die auf der Internetseite der Hamburger Stolperstein-Initiative nachzulesen ist. „Meine Recherche umfasste auch die Eltern von Rosalie Pniower. Dabei lernte ich den Hamburger Unternehmer Eduard Wolff kennen, dem eine bedeutende Tabakfabrik in der Spaldingstraße in Hammerbrook gehörte. Er nahm sich nach Demütigungen, Diskriminierungen und heftigen Anfeindungen 1938 das Leben. Auch zu seiner Erinnerung wurden im Beisein der Angehörigen aus Australien Stolpersteine gelegt, und zwar an Eduard Wolffs früherem Wohnsitz in der Schönen Aussicht 22 und vor seiner ehemaligen Fabrik in der Spaldingstraße 162.”
Beim Rundgang über das heutige Schulgelände der Ganztagsgrundschule Sternschanze kam es noch zu einem kurzen Austausch über Wilhelm Mosel, der in den 1980er Jahren dafür gesorgt hatte, dass es auf dem Schulhof eine Erinnerungstafel gibt.
Zum Abschluss beteiligte sich Ingo Wille noch an der Reinigung der Stolperschwelle vor dem Eingang zur Ganztagsgrundschule. Sie erinnert an die 13 Schülerinnen und Schüler der Israelitischen Töchterschule in der nahegelegenen Karolinenstraße 35, die am 15. und 19. Juli 1942 zu den Deportierten gehörten.