Wer heute durchs Grindelviertel spaziert, „stolpert“ überall über die in den Boden eingelassenen Gedenksteine, die an die früheren Bewohner dieses einst jüdisch geprägten Stadtteils erinnern. Und viele Anwohner fragen sich: In welchem Stockwerk wohnten diese Menschen? Wohnten sie vielleicht sogar in meiner Wohnung? Wie war meine Wohnung damals wohl eingerichtet? Was für ein Leben führten die ehemals jüdischen Familien in meiner Wohnung?
Wir möchten Ihnen heute etwas über Karl Adler berichten…*
Karl Adler gehörte zu den 311 jüdischen Menschen, die sich am 11. Juli 1942 hier in der Hartungstraße 9/11 einfinden mussten, um von der Sammelstelle im jüdischen Gemeindehaus (heute Hamburger Kammerspiele) über den Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity, hinter dem SPIEGEL-Gebäude) nach Auschwitz verschleppt zu werden. Wann Adler in Auschwitz genau zu Tode kam, ist nicht bekannt. Er wurde am 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Wer war Karl Adler?

Karl Adler wurde am 19. September 1925 in Rastatt geboren, seine Eltern waren Paula Cahn (geb.1890) und Arthur Adler (geb. 1887). Er hatte eine ältere Schwester, Ilse (geb. 1923), und einen jüngeren Bruder, Heinz (geb. 1937). Die Familie lebte in Lichtenau/Baden. Arthur Adler hatte ein Manufakturgeschäft in der dortigen Hauptstraße. 1933 lebten noch 84 jüdische Menschen in Lichtenau. Auf Grund des wirtschaftlichen Boykotts durch den NS-Staat, der zunehmenden Repressalien und der Entrechtung verließ ein Großteil von ihnen Lichtenau. Einigen gelang die Emigration.
Die Stationen von Kurt Adler
Kurt Adler muss vor der Deportation seiner Eltern und Geschwister am 21. Oktober 1940 nicht mehr bei ihnen in Lichtenau (heute BaWü) gewohnt haben. Da sein Vater am 10. November 1939 im Zuge der November-Pogrome ins KZ Dachau verschleppt wurde, könnte hier ein Zeitpunkt gewesen sein, an dem die Familie sich überlegt hatte, dass Karl über England nach Palästina ausreisen sollte. Bekannt ist, dass Karl auf dem Weg seiner Ausreise in Mannheim Station machte. Ob er noch an anderen Orten lebte, bevor er in Hamburg ankam, ist nicht bekannt. Andere Jugendliche wie der jüdische Lehrling Günter Schanzer, der aus der gleichen Region wie Karl Adler kam, lebten zeitweilig in einem jüdischen Waisenheim in Paderborn.

Karl begann in Hamburg eine Schlosser-Lehre. Einmal in der Woche hatte er an der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35 Schulunterricht. Er lebte bis zum 13. Februar 1941 im Waisenheim am Papendamm 3a und zog später in die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35.
Als diese am 19. Mai 1942 geschlossen werden musste, musste Adler in ein sogenanntes Judenhaus ziehen, das sich in seinem Fall in der in die Kielortallee 24 befand. Diese Häuser, gehörten der jüdischen Gemeinde. Nachdem den Juden ab 1939 das Wohnrecht genommen worden war, wurden sie gezwungen, in die Judenhäuser umzuziehen, wo sie gezwungen waren, auf engstem Raum zusammen zu leben. Am 10. oder 11. Juli 1942 wurde Karl Adler von den NS-Behörden aufgefordert, sich in der Hartungstraße 9/10 einfinden. Am 11. Juli 1942 wurde er über den Hannoverschen Bahnhof nach Auschwitz deportiert. Zu dem Zeitpunkt war er 16 Jahre alt.

Wieso eine Ausbildung als Schlosser?

Karl Adler gehörte zu den Lehrlingen der Werkschule in der Weidenallee 10 bc in Eimsbüttel. Grundsätzlich war es den jüdischen Jugendlichen verboten, eine staatliche Schule zu besuchen und ein Lehrvertrag durfte nicht mehr von den Kammern abgeschlossen werden. Das NS-Regime hatte aber mit den jüdischen Gemeinden Abmachungen getroffen, dass sie Lehrlinge ausbilden durften, damit diese, so zunächst die Idee, danach Deutschland verlassen würden.

In Hamburg gab es ein landwirtschaftliches Angebot, den Näherinnen-Beruf oder die Lehre als Schlosser oder Tischler. Letzteres gab es seit 1934/1935 in der Weidenallee 10 bc. Ende 1941 musste die Schlosser-Ausbildung in ein Haus Beim Schlump 32 umziehen.
Dort waren es aber nur noch acht oder neun Jugendliche. Ende März 1942 wurde die Werkschule aufgelöst. Die Ausbildung zum Tischler war bereits im November 1941 eingestellt worden. Am 11., 15. und 19. Juli 1942 wurden über 2.000 jüdische Menschen nach Auschwitz oder Theresienstadt in der Nähe von Prag deportiert.
Was wurde aus seinen Eltern und Geschwistern?
In der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1940 wurden 24 jüdische Menschen in Lichtenau aufgefordert, sich innerhalb kurzer Zeit reisefertig zu machen. Zwei Züge aus der Pfalz und Baden fuhren mit den Deportierten ins Landesinnere von Frankreich. Unter ihnen Paula, Arthur Adler und ihr kleiner Sohn Günter. Die Fahrt dauerte drei Tage und vier Nächte, bis sie schließlich am Fuße der Pyrenäen in Oloron-Sainte-Marie auf Lastwagen verladen und in das Internierungslager Gurs verbracht wurden.

Die Schwester von Karl, Ilse Adler – damals 17 Jahre- arbeitete zu dem Zeitpunkt in einem jüdischen Altersheim in Karlsruhe. Sie wurde von hier auch ins französische Gurs deportiert. Erst im Lager Gurs traf sie wieder auf ihre Eltern, ihren Bruder Heinz und ihre 70-jährige Großmutter: „22 lange Monate musste ich in dem Lager verbringen. Hilfsorganisationen und der damalige französische Präfekt versuchten, viele Jugendliche und Kinder aus dem Lager zu retten. Mein Bruder und ich hatten das Glück, unter den wenigen zu sein. … Wir mussten uns bis zum Kriegsende verstecken. Mein Bruder kam mit anderen Kindern, deren Eltern alle deportiert worden waren, in verschiedene Kinderheime… Er wurde von einem Verwandten adoptiert und gelangte mit acht Jahren in die USA.“
Warum sich erinnern?
Am 15. Juli 2025 erinnern wir in unserem Stadtteil, dem Weidenviertel – zwischen Schlump, Sternschanze und Christuskirche – jedes Jahr vor der Schule Sternschanze an die über 1.500 deportierten jüdischen Menschen. Wir wollen die NS-Verbrechen nicht vergessen. Die Deportationen geschahen am helllichten Tag. Die Bevölkerung sah zu, ohne zu handeln. Angesichts des aktuellen Rechtsrucks und des Erstarkens der AfD wollen wir Haltung einnehmen und uns für die Zukunft wappnen. Denn: Nie wieder ist jetzt! Mehr über die Kundgebung zusammen mit der Ganztagsgrundschule Sternschanz unter www.sternschanze1942.de
*Diese Text wurde in der Hartungstraße rund um die Wohngebäude um die Hamburger Kammerspiele verteilt und richtete sich an die dortige Nachbarschaft